Erste Einblicke in den 3D-Druck gewann ich bereits während meines Studiums. Nach einigen Semestern in Stuttgart konnte ich 2004 über einen Austausch für ein Jahr nach Paris. Es gab ja damals schon 3D-Druck im Architekturbereich, natürlich war er nicht so weit verbreitet und etabliert wie heute. Im Rahmen des Aufenthalts konnte ich bei einem bekannten Pariser Architekturbüro an einem Projekt mit 3D-Druck-Modellen mitarbeiten. Das war das erste Mal, dass ich die Ergebnisse meiner Planungsarbeit nicht traditionell aus Pappe oder Holz gebaut habe. Direkt aus dem Computer in die Realität, das war ein prägendes Erlebnis.
Ich bin der Technologie treu geblieben und habe sie auf weitere Bereiche angewandt, etwa im Textilumfeld. Ich sehe eher das Potenzial als die Grenzen. Herausfordernder wird es eigentlich nur, wenn es etwa um große, voluminöse Teile geht. Dem gegenüber stehen Stärken wie Funktionsintegration, die Verringerung der Anzahl der Bauteile und Leichtbau. Seit Gründung meines eigenen Studios 2011 bewege ich mich daher sehr gern zwischen Robotik, Design und Architektur, und eben mit Spezialisierung auf Design für additive Fertigung – speziell Selective Laser Sintering. Dabei stelle ich fest, dass die Grenzen eigentlich noch gar nicht ausgelotet sind, etwa was flexible Materialien angeht.
Momentan beschäftigt mich die Gründung meines Schuh- und Fashionlabels „The Cryptide“ sehr intensiv. Das Sneaker-Design hatte auch durch die Veröffentlichung als Demo-Part bei Sintratec viel mediale Aufmerksamkeit erlangt. Die Idee, Schuhe und Textilien additiv zu fertigen, mit einem hohen Anspruch an Design und Ästhetik – sie fasziniert mich. Hinzu kommen die Möglichkeiten für ein Customizing. Ich selbst trage diese Sneaker seit Monaten und kann sagen, dass ich ein Riesenpotential sehe, weil es sehr gut funktioniert. Auch ein Projekt bei Festo habe ich sehr positiv in Erinnerung behalten: den 3D Cocooner. Das ist ein 3D-Druck-Roboter, der endlos faserverstärkte Gitterstrukturen frei in den Raum bauen kann.
Auf jeden Fall auch ein sehr interessantes Projekt. Momentan müssen wir uns häufig zwischen Technik und Natur entscheiden. Breitet sich die Technik aus, muss die Natur weichen. Diesen vermeintlichen Gegensatz soll das Fungus-Projekt auflösen. Dafür habe ich im Rahmen des Projekts einen „Gärtner-Roboter“ entwickelt, übrigens von EOS auf einem EOS SLS System in dem biobasierten Material PA11 gefertigt. Die Idee ist die Bewirtschaftung eines vertikalen Pilzgartens als zugleich lebender Architektur. Der Roboter kümmert sich so um diesen Garten, dass Pilzernten möglich sind. Sozusagen die Etablierung einer Architektur, die selbst lebt und Technologie integriert.
Es klingt banal, aber ich gelange zu neuen Lösungen, indem ich sehr bewusst und mit offenen Augen durch die Welt gehe, ohne an ein konkretes Projekt zu denken. Ich überlege mir, wie Dinge aussehen könnten, wenn sie für die Fertigung im 3D-Druck entworfen worden wären. Letztlich profitiere ich immer davon, wenn mir Transferleistungen gelingen. Ein Beispiel ist das Konzept der Bionik, bei dem uns die Natur zu Lösungen inspiriert. Auf jeden Fall ist es so, dass die Möglichkeiten enorm sind. Es ist dennoch ein Prozess. Man steht nicht auf einmal in diesem großen Raum der Möglichkeiten.
Die offenen Augen und Neugier sind wichtige Komponenten. Ebenso eine gewisse Begeisterungsfähigkeit. Damit lässt sich Inspiration im Alltag finden. Nach draußen gehen, die Stadt oder die Natur aktiv erleben. Letztlich ist die Wahrnehmung der echten Welt Inspiration. Das kann ein Nachmittag auf dem Spielplatz mit den Kindern sein. Die Kinematik eines Spielgeräts ist bereits gelebte Technik. Es findet eine Krafteinleitung statt, es gibt Strukturen und Bewegungen.
(lacht) Tatsächlich habe ich immer A5-Heftchen dabei, um Ideen festzuhalten. Die Basis bilden mein Erfahrungsschatz und die Konstruktionsprinzipien. Gedanklich gehe ich gerne einmal einen oder mehrere Schritte zu weit, um im Anschluss bewusst zu hinterfragen und wieder etwas wegzunehmen. Feedback auch von fachfremden Personen spielt ebenfalls eine Rolle wie mein Wille und meine Leidenschaft, etwas anders und dabei hoffentlich besser zu machen. Entscheidend ist es, eine sinnhafte Anwendung zu finden.
Das ist grundsätzlich Motivation im jeweiligen Projekt, aber auch auf Meta-Ebene. Ab und zu gibt es Feedback, dass eine Arbeit eine Inspiration für Menschen ist, das ist natürlich schön. Für mich kann Motivation aber auch aus Interesse, Ästhetik etc. entstehen. Ich mache meine Arbeit ziemlich oft einfach gern, das hilft nun mal. (lacht)
Eine Verallgemeinerung ist ein wenig vermessen. Für mich hat es sich als wichtig erwiesen, Dinge von weit vorn her in Frage zu stellen. Wenn ich zum Beispiel eine bestimmte Funktionalität erreichen möchte, stelle ich – wo möglich – diese selbst in Frage. Ein gutes Beispiel ist mein Allrad-Fahrrad-Konzept „The INFINITY cruiser“. Natürlich gibt es schon lange Fahrräder, und zwar sehr gute. Was konnte ich also anders machen? Daher habe ich die Bauteile, die für die Funktionalität eines Fahrrades essentiell sind, selbst kritisch hinterleuchtet. Im Ergebnis sieht das Bike jetzt ziemlich anders aus, eben weil das ganze Objekt grundlegend hinterfragt wurde. Das Prinzip trifft auf Funktionalität ebenso zu wie auf die Ästhetik.
Ich nehme selten etwas als gegeben hin. Der Startpunkt ist also meist ein- und derselbe. Wer etwas in Frage stellt, hat selten gleich die Antwort. Es dennoch nicht zu tun, würde oft eine vergebene Chancen bedeuten besonders in einem Umfeld mit derart vielen Gestaltungsmöglichkeiten.
Für mich ist es besonders wichtig, sparsam beim Material zu sein. Ich bin dem Gedanken des Leichtbaus verpflichtet. Bei der additiven Fertigung ist es in der Regel so: Je leichter ein Teil, desto günstiger wird es. Die Eleganz und der Charme des 3D-Drucks manifestieren sich auch in der Kunst des Weglassens. Das bedeutet etwas Mehraufwand bei der Planung. Statt etwas in drei Quadern abzubilden, kann etwa eine knochenartige Verstrebung Material einsparen – damit zahlt sich der Design-Mehraufwand aus. Zudem ist es ökologisch erstrebenswert, ressourcenschonend zu arbeiten.
Klar, das ist in meinen Augen eher eine Frage des Mindset als der spezifischen Ausbildung. Das Schlagwort Transferleistungen hatte ich schon erwähnt. Diese sind für jemanden mit Architektur-Background notwendig, wenn er Produkte designen möchte. Jemand anderes, der vielleicht aus der Grafik kommt oder beispielsweise einen naturwissenschaftlichen Hintergrund hat, wird eigene Methoden entwickelt haben, um beim Gestalten von seinem Background zu profitieren. Es zählt, auf sich selbst ein Stück weit zu hören. Auf sein Anliegen, seine Interessen. Wer diese ernst nimmt und den richtigen Rahmen findet, kann für sich selbst neue Türen öffnen und hindurchgehen. Wichtig ist zudem, Hilfe anzunehmen und sich selbst gesund in Frage zu stellen. Mit Selbstvertrauen und Mut und Interesse sowie der passenden Geisteshaltung lassen sich durchaus neue Design-Welten erschließen.
Stephan Henrich arbeitet an der Schnittstelle von Architektur, Narration, Design und Robotik. Seit 2011 führt er sein Büro Stephan Henrich - Robotikdesign und Architektur in Stuttgart. Er betreibt ein Roboter-Lab und für die Prototypenentwicklung eine kleine Hardwareproduktion, unter anderem bestehend aus einer Additive-Manufacturing-Werkstatt mit Selective-Lasersintering-(SLS-)Anlage. Aktuell befasst sich Stephan Henrich mit der Entwicklung eines auf Biomaterialien basierenden, additiv-generativen Fertigungsverfahren als Gestaltungswerkzeug in Architektur und Design. Außerdem bereitet er den Start seines eigenen Design-Labels „The CRYPTIDE” vor.
Nach seinem Architekturstudium an der Universität Stuttgart mit Diplom 2007 und der Ecole d´Architecture de Paris Belleville arbeitete Stephan Henrich in verschiedenen Architektur- und Ingenieurbüros. Bei R&Sie(n) Architectes in Paris wirkte er als Associate in zahlreichen internationalen Projekten mit. Er leitete das Robotic-Handwriting-Projekt für den Film „Marilyn“ des Pariser Künstlers Philippe Parreno und verhalf damit der Handschrift der Kinolegende zu neuem Leben. Zudem realisierte er im Bionic Learning Network des Unternehmens Festo den 3D Cocooner, einen 3D-Druck-Roboter, der endlos faserverstärkte Gitterstrukturen frei in den Raum bauen kann. Stephan Henrich hat überdies diverse Lehrtätigkeiten an Universitäten ausgeführt, u. a. als Gastprofessor an der Universität Innsbruck.
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