Wenn die Rede auf das Weltall und seine unendlichen Weiten kommt, fallen vielen Menschen Science-Fiction-Geschichten ein, nicht selten von Hollywood erzählt. Im echten Leben sind in der Raumfahrt wohl mehr als in jedem anderen Bereich ein starker Wille und Visionskraft von Bedeutung, um die erforderliche Technologie zu erdenken und zur Einsatzreife zu führen. Der schweizer Technologiekonzern RUAG stellt sich dieser Herausforderung unter anderem mit seinen Sentinel-Satelliten für die Erdbeobachtung. Dabei spielt auch die additive Fertigung eine Rolle.
Ein wenig gleicht es der Quadratur des Kreises: Wir konnten ein Bauteil erheblich leichter und dennoch deutlich stabiler machen. Die Eigenschaften haben wir in den harten Testläufen nachgewiesen, wie sie für die Luft- und Raumfahrtbranche unerlässlich sind. Wir werden in den kommenden Jahren noch viel über Additive Manufacturing in dieser Branche hören – davon bin ich überzeugt!
Laut Angaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus dem Jahr 2016 liegen die Missionskosten der Raumfahrt pro Kilogramm transportierter Nutzlast noch immer bei mindestens 20.000 €. Jedes Gramm weniger senkt die Gesamtkosten eines Raketenstarts, denn das Startsystem muss weniger Energie mit sich führen, die im Laufe des Aufstiegs verbraucht wird. Folglich feilen Raumfahrt-Ingenieure an sämtlichen Bauteilen – denn jedes Gramm extra summiert sich.
Im konkreten Fall war der schweizer Konzern RUAG auf der Suche nach einer optimal konzipierten Antennenhalterung. Gewichtsoptimierung allein reicht jedoch nicht. Bei einem Raketenstart wird die Nutzlast gehörig durchgerüttelt, Schwingungen sind die Folge. Auch die enormen Geschwindigkeiten von mehreren tausend Kilometern pro Stunde sowie die hohen G-Kräfte tragen dazu bei, dass der Flug nicht so ruhig wie beispielsweise bei einem Passagierflugzeug verläuft.
Stabilität und Steifigkeit bilden darum einen zweiten, zentralen Punkt in jedem Lastenheft. Leider steht dieser diametral zum Wunsch nach geringem Gewicht. Mithilfe komplexer Strukturen arbeiten Ingenieure am richtigen Kompromiss aus Form und Gewicht.
Die ideale leichte und feste Struktur suchten die RUAG-Mitarbeiter auch für besagte Antennenhalterung. Althergebrachte Fertigungsmethoden waren ausgereizt.
Die additive Fertigung hingegen eröffnete die nötigen Freiheiten beim Design. Eine besondere Herausforderung stellten – nicht zuletzt wegen der erwähnten Schwingungen – die Tests des Bauteils dar. Denn im All zählt Zuverlässigkeit, Reparaturen sind in der Regel nicht möglich. Auch deshalb ist die Zulassung solcher Bauteile langwierig und aufwendig.
Jede Zertifizierung ist für die Ingenieure wie ein Ritterschlag.
Damit spielt insbesondere in der Luft- und Raumfahrt die gesamte Fertigungskette eine wichtige Rolle. „Selbstverständlich sind die immensen Vorteile additiv hergestellter Produkte für uns von großem Interesse“, erklärt Franck Mouriaux, General Manager Structures bei RUAG. „Gestalterische Freiheit und komplexe Bauteile helfen uns beispielsweise, Gewicht zu sparen. Auch die mögliche Funktionsintegration ist sehr hilfreich. Letztlich gilt es aber, diese möglichen Vorteile auch zu identifizieren, perfekt umzusetzen und eine entsprechende Zulassung für sie zu erhalten. Das leichteste Bauteil ist sinnlos, wenn es nicht verwendet werden darf.“
Die grundsätzliche Eignung und Steifigkeitsprüfung bildeten den Ausgangspunkt für die Antennenhalterung. Materialauswahl, Prozessdefinition und erste grundlegende Tests hinsichtlich der Materialeigenschaften kamen als nächstes an die Reihe. Danach wurden erste Verifikationsbauträger konstruiert, die als Ausgangsbasis für die weitere Topologie-Optimierung des Bauteils Verwendung fanden. Durch intensive Arbeit mit einem CAD- und FEM-System von Altair sowie die Beratung zu einer auf additive Fertigung ausgelegten Konstruktion durch EOS konnte RUAG schließlich die – theoretisch – perfekte Form für die Antennenhalterung ermitteln.
Die rund 40 cm lange Antennenhalterung wurde von der citim GmbH aus Barleben unter Verwendung der EOS M 400 hergestellt. Dank ihres Bauvolumens von 400 x 400 x 400 mm konnten insgesamt zwei Antennen, 30 Zugproben sowie diverse Probekörper in einem Bauauftrag gefertigt werden. Die Bauzeit betrug ca. 80 Stunden. Zum Einsatz kam ein Parametersatz für eine Schichtstärke von 60 µm, der sowohl für eine gute Oberflächengüte als auch eine hohe Produktivität optimiert wurde.
Die verwendete Aluminiumlegierung EOS Aluminium AlSi10Mg zeichnet sich durch eine hohe Festigkeit sowie eine starke dynamische Widerstandsfähigkeit aus. Damit ist das Material perfekt für den Einsatz bei stark belasteten Bauteilen geeignet. Um die geforderten Eigenschaften nachweisen zu können, folgten umfangreiche Prüfungen – die im Raumfahrtbereich übrigens bis zu 80 % des gesamten Projektumfangs ausmachen. Für die Tests kamen speziell gefertigte Versuchsträger zum Einsatz. Unter anderem untersuchten die Spezialisten die Halterung im Computertomographen. Außerdem waren verschiedene mechanische und physische Verfahren vorgesehen, bei denen das Bauteil teilweise absichtlich über die Belastungsgrenze gebracht und damit zerstört wurde.
EOS ist innovativ und gleichzeitig sehr erfahren im Bereich Additive Manufacturing. Die Systeme bieten für wirklich jeden Markt und jede Branche interessante Möglichkeiten.
Der Lohn dieser Mühen: Die neue Antennenhalterung für die Sentinel-Satelliten erfüllte alle in sie gesteckten Erwartungen – und zwar mit Bravour. Das bedeutete eine entsprechende Zertifizierung des Bauteils und damit die Freigabe für die Verwendung im Weltraum. Diese Leistung ist umso bemerkenswerter, als die additive Fertigung gerade erst Einzug in die Raumfahrt hält.
Die Mindestanforderungen an die Steifigkeit überbot das Bauteil zum Beispiel um mehr als 30 % – mehr als genug Reserve, um auch nach einem unruhigen Flug eine perfekte Antennenposition und damit Funkkontakt zur Erde zu halten. Erreicht wurde die Stabilität unter anderem durch die sehr gleichmäßige Spannungsverteilung. Zudem hat der 3D-Druck die Halterung erfolgreich auf Diät gesetzt: 940 g statt 1,6 kg bedeuten eine Ersparnis von über 40 %.
Damit hat die innovative Technologie einen erstaunlichen Trade-off geschafft: Trotz verbesserter Bauteileigenschaften trägt die neue Halterung zu niedrigeren Systemkosten bei.
„Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis unserer Arbeit. Wir haben unbekanntes Terrain auf Prozessseite betreten und gleichzeitig ein stabiles, leichtes Bauteil hergestellt“, fasst Luft-und Raumfahrtingenieur Mouriaux zusammen.
„Die additive Fertigung hat bewiesen, dass sie auch den grundlegenden prozessualen Anforderungen der Raumfahrt gewachsen ist. Ihre zahlreichen Vorteile bei der Formgebung und den Eigenschaften der Bauteile hatte sie ja schon unter Beweis gestellt. Ich sehe großes Potenzial für diese Technologie.“